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AutorenbildJulia Moldenhauer

Unaufgeregt - Vielschichtig - Verwirrend




Zum Titel


Die Novelle „Ameisen fällt das Sprechen schwer“ von René Frauchinger ist 2022 im Knapp Verlag in der Schweiz erschienen. Dies ist die 1. Auflage, sie umfasst 113 Seiten und ist ein Hardcover.

Das Buch hat mir der Autor im Rahmen einer Leserunde zur Verfügung gestellt. Zum Inhalt Ein Mann bemerkt auf einer Zufahrt, dass er nicht mehr weiß, wer er ist. Er geht analytisch und ruhig vor, findet in seinen persönlichen Gegenständen seinen Namen und seine Adresse und fährt dorthin, wo dieser Peter Haller wohnt, der er zu sein scheint. Dort wohnt er mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Dem unauffälligen, zurückhaltenden Mann gelingt es, dieses ihm fremde Leben zu leben, geht an Peter Hallers Arbeit, lernt Peter Hallers Freunde kennen, doch es kommt ihm vor, als würde er bloß in einer Spur laufen, die von einem Anderen vorgegeben wurde - wie eine Ameise. Was passiert aber, wenn er die Spur verlässt, wenn er nicht mehr tut, was Peter Haller getan hätte?

Rezension Die Idee des Buches ist großartig, weil sie so vielschichtig umgesetzt wurde. Es werden beim Lesen einige Frage aufgeworfen. Wenn ich heute mein Gedächtnis verlöre, wie käme ich in meinem Leben zurecht? Ich habe tatsächlich selbst in meinem Portemonnaie und in der Handtasche nach Hinweisen geschaut und versucht, mich in Peter Haller hineinzuversetzen, ein spannendes Gedankenspiel. Und dann ist da die Sache mit den Ameisen, auf die immer wieder Bezug genommen wird. Sie folgen den Duftspuren der anderen, sind keine Individualisten, sie streben nicht nach Selbstverwirklichung, sie folgen dem vorgegebenen Weg. Was erwartet die Welt, wie Peter Haller sich verhalten sollte, was ist peterhallertypisch? Er beginnt, seine verschiedenen Rollen - Partner, Arbeitskollege, Freund oder einfach Passant - neu zu bewerten, von der Spur, die der "alte" Peter Haller vorgegeben hat, abzuweichen. Zunehmend leidet er plötzlich unter Realitätsverlust und entwickelt psychotische Tendenzen. Die surrealistischen Parts hätte ich persönlich nicht gebraucht, sie fügen sich letztendlich aber in das Gesamtbild ein. Es geht in der Novelle nicht darum, warum der Protagonist sein Gedächtnis verloren hat und ob er es wieder bekommt. Ehrlich gesagt kann ich Bücher nicht ernst nehmen, die das versuchen, daher war ich zufrieden mit dem relativ offenen Ende. Zwar hat die Geschichte im letzten Drittel einen Clou, der aber lediglich eine Auflösung im weitesten Sinne ist, interpretieren und weiterdenken darf man trotzdem noch selbst. Weiß man denn selbst immer, wer man ist? Die Gedankengänge der Hauptfigur sind mir tatsächlich nicht gänzlich unbekannt. Insgesamt kann ich also von einem richtig gut konstruierten Buch sprechen, angefangen bei der Grundidee, dem stetigen Bezug zu den Ameisen, was an eine Fabel erinnert, die Nennung ganzer Namen (Vor- und Nachname), was die Distanz des Protagonisten zu seinem Umfeld verdeutlicht. Ein absolut ungewöhnliches und empfehlenswertes Buch, das lange nachklingt. Zum Verlag Der Knapp Verlag ist ein Schweizer Buchverlag und entstand aus dem Verlag Textwerkstatt heraus. Der 2005 gegründete Verlag veröffentlicht pro Halbjahr vier neue Titel. Zum Verlagsprogramm gehören Sachbücher, vergessene Autoren aus dem Kanton Solothurn und zeitgenössische Belletristik. Besonders hervorzuheben ist die Perlen-Reihe. Sie wird als "Reise durch die literarische Schweiz" bezeichnet. Alle Buchumschläge der Reihe tragen Illustration des Oltner Künstlers Jörg Binz.

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