Zum Titel
Der Roman „Spitzenreiterinnen“ von Jovana Reisinger wurde 2021 im Verbrecher Verlag veröffentlicht. Das Buch umfasst 257 Seiten und ist ein Hardcover ohne Schutzumschlag.
Zum Inhalt
Laura fiebert ihrer Hochzeit entgegen.
Lisa kann keine Kinder bekommen.
Barbara läuft ein Hund zu.
Verena erbt eine Luxusvilla.
Jolie wird entlassen.
Petra findet die Liebe.
Brigitte schwitzt.
Emma freut sich.
Tina hat Angst.
Der Klappentext verrät schon das Wesentliche über den Inhalt, neun Frauen, die die Namen von Zeitschriften tragen, haben mit ganz individuellen Problemen des Alltags, der Liebe und des Familienlebens zu kämpfen. Sie alle stehen vor Veränderungen und Herausforderungen, vor Entscheidungen um das persönliche Glück. Was suchen diese Frauen, was sind ihre Ziele, nicht die der Gesellschaft, nicht die der sie umgebenden Männer, ihre innersten Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche? In welcher Disziplin möchten sie Spitzenreiterinnen sein?
Rezension
Schon länger hatte ich „Spitzenreiterinnen“ im Kopf, eines der Bücher auf langen Merklisten, das ich „auch noch mal irgendwann“ lesen wollte. Nun hat der Zufall es innerhalb weniger Wochen in meine Hände gelegt, denn es sollte in unserem Staatstheater aufgeführt werden. Im Zuge dessen war ich letzten Monat bei einer Lesung, habe die unglaublich sympathische Autorin kennenlernen dürfen und mir ein signiertes Exemplar gekauft. Noch am selben Abend reservierte ich meiner 16-jährigen Tochter und mir Karten für die Premiere, diese ist nun 3 Tage her.
Doch zunächst zum Buch. Jovana Reisinger hat hier Vieles vereint. Es ist leicht und flüssig lesbar, in angenehmer Sprache und angenehmer Länge, es hat Humor. Die kurzen Kapitel lassen eine gute Übersicht zu, auch dadurch, dass auf jeder Seite klein der Name der Frau zu finden ist, um die es geht. Der szenische Schreibstil sorgt für einen anhaltenden Lesesog, jede der Geschichten baut sich auf, braut sich zusammen, manche entspannen sich auch zunehmend. Man möchte erfahren, wie es für alle liebgewonnenen Charaktere ausgeht. Mit der einen Figur bangt man vielleicht mehr mit, in die andere kann man sich eher hineinversetzen. Die Frauen sind unterschiedlichen Alters und vollkommen unterschiedlichen Belastungssituationen ausgesetzt. Männer kommen natürlich vor, ihr Name wird allerdings einfach mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt. Noch nie war der Begriff „Nebenrolle“ passender, denn es geht nicht um sie, um ihren Einfluss schon, aber auch um die Grenzen und die zunehmende Begrenzung dessen.
Es ist schwer, was die neun Frauen zu bestehen haben, die Themen sind, trotz Leichtigkeit und Situationskomik, tief und berührend und bringen alles, was Frauen an ihre Grenzen bringen kann (häusliche Gewalt, Fehlgeburt, Verlust des Partners, um nur einige zu nennen) zur Sprache, auf eine ganz empathische, sensible Art. Authentisch und realistisch, manchmal traurig und beängstigend, aber am Ende absolut hoffnungsvoll sind wir Teil der Innen- und Außensicht der Veränderungen. Auf alle wartet ein glückliches Leben, sie alle können darin eine Spitzenreiterin sein. Ich finde den Titel großartig gewählt, er hat etwas Bestärkendes und Mutmachendes. Es ist kein deprimierendes Buch.
Was mir besonders gefallen hat ist, dass Jovana Reisinger alle Frauen gleichstellt. Sie beurteilt nicht, nimmt kein Schicksal wichtiger als das andere. Sie hebt jede Frau gleichermaßen hervor, ihren ganz individuellen Kampf um Glück, um ihr bestes Leben, wie sie es leben will. Sie nimmt jede einzelne ernst.
Auf die Bühnenfassung von Heike M. Götze, die seit dem 20.05. in Kassel aufgeführt wird, waren meine Tochter und ich sehr gespannt. Ich fand mich gut zurecht, ich kannte den Rahmen und einige Hintergründe aus dem Roman, die im Stück nicht deutlich zur Sprache kamen. Meine Tochter, die das Buch nicht kennt, hatte teils ein Problem damit, der Handlung zu folgen. Die Szenen sind nicht klar getrennt und die wirklich sehr guten Schauspielerinnen teils schwer auseinanderzuhalten und zuzuordnen, was sicher so gewollt ist.
Was sehr schön war, war die Sensibilität und Empathie der Umsetzung. So gab es beispielsweise zu Beginn eine Art Triggerwarnung, eine Einleitung, die Frauen ansprach, die sich möglicherweise in vergleichbaren Situationen befinden. Auch zwischendurch hatte ich mehrmals das Gefühl einer direkten Ansprache des Publikums, ein „wenn-du-davon-betroffen-bist-Gefühl“. Ein warmes, solidarisches Gefühl.
Und das ist, was der Roman für mich – sehr viel deutlicher und unmittelbarer als die Kunstform des Theaterstücks – aussagt:
Du bist nicht allein.
Es gibt nichts, wofür du dich schämen musst.
Wähle deine Disziplin, setze deinen eigenen Maßstab und du wirst eine Spitzenreiterin sein.
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