Zum Titel
Der Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ von Teresa Präauer wurde 2023 im Wallstein Verlag veröffentlicht. Das Buch umfasst 198 Seiten und ist ein bedrucktes Hardcover ohne Schutzumschlag.
Zum Inhalt
Noch immer stehen Kisten herum, deren Inhalt bislang keinen Platz in der neuen Wohnung gefunden haben, dabei ist der Umzug nun schon eine ganze Weile her. Der neue große Esstisch bietet endlich genug Platz und eine Frau unbestimmten Alters lädt Freunde zum Abendessen und Umtrunk ein. Neben der namenlosen „Gastgeberin“ nehmen an diesem Abend, der zum ersten Mal in dieser Form stattfindet, „der Lebensgefährte“ teil, außerdem „der Ehemann“ und „die Ehefrau“, die kürzlich Eltern wurden und „der Schweizer“. Nicht alles läuft wie geplant und verabredet, so dass noch weitere Personen im Verlauf der Nacht hinzukommen und die Gastgeberin erkennen muss, dass es nicht für alles ein Rezept gibt.
Rezension
Eine strukturierte Bewertung des Buches fällt mir schwer, denn es ist nicht recht greifbar und schwer in Worte zu fassen. Ich habe schon einige Besprechungen gelesen und gehört und Interviews mit der Autorin gesehen und bin nun nach der Lektüre zu dem Schluss gekommen, dass das Buch zwar einheitlich große Begeisterung hervorruft, es aber abgesehen davon scheinbar vollkommen unterschiedlich gelesen wird.
Dies hier ist nun mein persönlicher Eindruck. Ich mochte das Buch sehr und habe es mit viel Freude gelesen, wenn ich auch zunächst ein paar Kapitel brauchte, um mich auf die Erzählweise einzulassen, die mir nach wie vor ungewöhnlich erscheint. Mit einfachsten Mitteln, übersichtlichem Personal und ohne großen Spannungsbogen lässt einen „Kochen im Falschen Jahrhundert“ immer wieder Abschweifen, weil es die Autorin herausfordert.
"Deine Anfänge beim Kochen, denkst du manchmal daran?"
Es ist kein homogener Roman, Theresa Präauer spricht an einigen Stellen die Lesenden persönlich an und weckt damit Erinnerungen, bringt einen kurz raus aus der Geschichte um einen geselligen Abend, an dem im Grunde genommen nicht viel passiert, sondern sich ganz viel in Gedanken, dialogfrei abspielt. Immer wieder driftet man ab - und das darf man auch! Man sieht sich selbst in Schürze, man sieht die eigenen Freunde, man hat gelungene Abende im Kopf, die Autorin lässt einem den Freiraum. Man schweift ab wie Teresa Präauer, wie die Gastgeberin an diesem Abend.
Hatten eure Großeltern auch Geschirr für jeden Tag und gutes Geschirr für Festlichkeiten? Hattet ihr auch Großmütter, die ihr kaum in Rock und Bluse wiedererkannt habt, weil sie im Alltag hauptsächlich mit einer Kittelschürze herumrannten? Wie sich Kleidung, Geschirr, die Wahl der Gerichte und die der Getränke von Generation zu Generation gewandelt hat, erzählt "Kochen im falschen Jahrhundert" ganz nebenbei.
Anstelle einer Überschrift steht jedem nur wenige Seiten langen Kapitel eine Zutatenliste voran, die neugierig auf das macht, was sich im Folgenden ereignet, was gegessen und getrunken wird, wie sich die Stimmung unter den Charakteren entwickelt, das hat mir sehr gefallen, eine tolle Idee. Nach etwa der Hälfte des Buches fiel mir zum wiederholten Mal ein Bruch auf, ähnlich einer Zeitschleife. Dass die Handlung im Grunde genommen womöglich keine Handlung ist, denn es ist nicht die Erzählung eines Abends, wie er passiert ist, und das ist der eigentliche Clou des Inhalts, wie ich ihn verstanden habe. Es sind verschiedene Variationen eines Abends, wie er hätte laufen könnte, was hätte sein können, wenn… Wie die Gäste sich hätten verhalten können, was das zur Folge gehabt hätte und was dann noch passiert sein könnte. Und was gut hätte laufen können und wie es doch ein schöner Abend geworden wäre. Durch die Anonymisierung der Figuren sind sie austauschbar. Es könnten meine Freunde sein.
Was wäre, wenn? Was wäre, wenn ich einen neuen, großen Esstisch hätte, wen würde ich einladen? Was wäre, wenn meine Gäste zu spät kämen oder schon kurz zuvor etwas gegessen hätten? Wenn mein sorgfältig geplantes Abendessen nicht gelingt? Was wäre, wenn mir zwischendurch wieder einfällt, warum ich so selten Freunde einlade, weil ich es nämlich hasse, dieses ganze Vorbereiten und Kochen und Dekorieren? Wenn ich mir unter einem perfekten Abend etwas völlig anderes vorgestellt habe… Diese und weitere Fragen wirft das Buch auf und zeigt einen Abend, wie er sein könnte, Variationen davon. Und wieder schweift man ab. Was ist ein gelungener Abend mit für mich?
Und so erzählt „Kochen im falschen Jahrhundert“ nicht einfach nur eine Geschichte, es erinnert an vergangene Abende mit Freunden und bezieht gleichzeitig die mit ein, die noch folgen werden. Etwas vorbereiten, Vorfreude, vielleicht auch enttäuschte Erwartungen, kalte Getränke, musikalische Untermalung und Menschen, die Zeit miteinander teilen.
Bei Gesprächen mit KundInnen in unserer Buchhandlung ist mir erst bewusst geworden, dass der Roman keinerlei Problemthemen behandelt. Ja, die Figuren sprechen über aktuelle Themen, es wird aber nichts ausdiskutiert oder beeinflusst den Abend nachhaltig. Es gibt nicht viele solcher Bücher. Der Zweite Weltkrieg, eine Krebserkrankung, Verlust eines Elternteils, vom Partner verlassen - diese Inhalte werden teils explizit als im Buch unerwünscht für ein Geschenkbuch für eine Freundin, den Bruder, die Nachbarin ausgesprochen. Doch Bücher ohne Tragik und ernste Themen – da fallen mir keine fünf Titel im belletristischen Genre (ausgenommen Kriminalliteratur, und da ist halt dann dafür wer tot) ein! Dabei fehlt es dem Roman keineswegs an Ernsthaftigkeit. Er ist es elegant erzählt, mit pointiertem Witz, gemächlich und angenehm und nicht nur für Gastgeberinnen absolut empfehlenswert.
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