Zum Titel
Der Roman „Der Kreis des Weberknechts“ von Ana Marwan wurde 2019 im Otto Müller Verlag veröffentlicht. Das Buch ist ein Hardcover, umfasst 196 Seiten und trägt einen Schutzumschlag.
Ich habe es im Rahmen eines Buchzirkels, bei dem die Bücher alle zwei Monate eine Person weitergeschickt werden, kennengelernt. Danke dafür, liebe Birthe!
Zum Inhalt
Karl Lipitsch ist ein Misanthrop, Menschen, vor allem gehäuft, sind ihm ein Graus. Seinen Menschenhass lebt er voll und ganz in seinen philosophischen Essays aus, die er zur Erleuchtung eines Jeden zu veröffentlichen gedenkt. Doch der Zufall lässt ihn in Kontakt mit einer Nachbarin treten. Nein, das ist nicht ganz richtig, sie tritt einfach so mit ihm in Kontakt. Mathilde beginnt auch noch damit, Lipitsch arglos in nachbarschaftliche Interaktionen zu verwickeln. Er als Sozialabstinenzler sieht das alles als eine Art Spiel, das es zu gewinnen gilt. Doch Partie um Partie punktet Mathilde.
Rezension
Was für ein wundervolles, kleine Büchlein. Was bin ich froh, dass ich die Autorin durch einen Buchtauschzirkel kennenlernen durfte!
Ich muss zugeben, ich brauchte anfänglich etwa 25 Seiten um in die spezielle Erzählweise hineinzukommen und um mich überhaupt auf die mentale Verfassung dieses durchaus putzigen Hauptcharakters einzustimmen. Es gibt ja einige verschrobene und soziophobe Figuren in Büchern und Filmen, aber Lipitsch ist irgendwie anders, er hat sich bewusst gegen Gesellschaft entschieden. Er schreibt sogar ein Buch darüber, Essays gegen die Notwendigkeit menschlicher Kontakte und ist recht zufrieden mit seinem Leben. Bis das „Spiel“ mit der Nachbarin beginnt.
Die gebürtig aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Literaturwissenschaftlerin Ana Marwan schreibt einfach wundervoll. So fremd einem Lipitsch und seine Art, Kontakte zu pflegen – oder eben grade nicht zu pflegen – ist, so sehr kann man ihn bei all diesen sozialen Verstrickungen verstehen und sich durchaus hineinversetzen. Mit jeder Menge Witz beschreibt die Autorin die Situationen, in die Mathilde Lipitsch immer wieder bringt, indem sie ihm beispielsweise Kuchen auf einem Teller überreicht, der dann vorwurfsvoll bei ihm auf Rückgabe oder Abholung wartet, der etwas in Gang gesetzt hat. Aktion-Reaktion, er ist am Zug.
Diese Bande, die das soziale Leben, hier am Beispiel der Nachbarschaft, zusammenhalten, sind herrlich auf den Punkt gebracht. Geben und Nehmen, für Lipitsch absolut mirakulös und was überhaupt die Frau im Schilde führt, ist undurchsichtig. Er hat allerhand Weisheiten über das weibliche Geschlecht zur Hand, hat eigentlich für alles und jeden eine Schablone und den Durchblick, so ist er es gewohnt. Hübsch übersichtlich. Man muss viel Schmunzeln und auch herzlich lachen, die Charaktere werden sehr warm beschrieben, in all ihrer Verschrobenheit.
Doch nach und nach entgleitet Lipitsch die Kontrolle über das Spiel, über das Hin und Her, er kann sich selbst nicht mehr recht trauen, wird seinen Prinzipien und seiner inneren Einstellung untreu und kann doch nicht aus seiner Haut.
Es ist eine Liebesgeschichte und dann auch wieder nicht. Ja, es gibt die Liebe in diesem Roman und auch Freundschaft, doch Karl Lipitsch kann Gesellschaft nie einfach genießen. Er analysiert und berechnet, will nicht als Verlierer dastehen. Er steckt in einer Spirale fest und ist nicht in der Lage, sich zu befreien.
Bei allem Humor und Witz, der Raffinesse der knappen Handlung, der gewandten Sprachen und der Zerbrechlichkeit der Charaktere, kann man deren Verzweiflung nicht ausblenden. Es ist eine bittersüße Geschichte und das Ende hat mich sehr bewegt.
Zum Verlag
Der Otto Müller Verlag wurde 1937 in Salzburg gegründet. Sein Namensgeber wendete sich offen gegen nationalsozialistische Publikationen und bot jenen Autorinnen und Autoren Möglichkeiten zur Veröffentlichung ihrer Werke, die in anderen Verlagen aufgrund ihrer Herkunft oder der Thematik ihrer Bücher abgelehnt wurden. Zwischen 1939 und 1945 wurde Otto Müller mehrfach verhaftet, sein Verlag wurde liquidiert, bevor er ihn nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder aufbauen konnte. Nach dessen Tod 1956 blieb der Verlag in Familienbesitz und erlebte Höhen und Tiefen.
Die Programmschwerpunkte blieben dabei immer gleich – Belletristik, auch zeitgenössisch und vorwiegend aus der Feder österreichischer Autorinnen und Autoren, literaturwissenschaftliche und theologische Texte, außerdem Reihen wie die „Jiddische Bibliothek“ und die „Edition Fotohof“ für künstlerisches Fotografieren.
Des weiteren veröffentlicht der Verlag, bereits seit 1966, die Literaturzeitschrift „Text und Kritik“.
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