Zum Titel
„Elle(s)“ ist eine Comic-Trilogie bestehend aus den drei Bänden
„Die Neue(n)“ – erschienen im Mai 2023
„Universell(e)“ – erschienen im September 2023 und
„Vielfach(e)“ – erschienen im Dezember 2023
Im Original sind die Bände von 2021 bis 2023 entstanden, gezeichnet von Aveline Stokart und in Szene gesetzt von Kid Toussaint. Die deutschen Ausgaben wurden bei toonfish veröffentlicht, einem Imprint des Splitter Verlags. Aus dem Französischen übersetzt wurden sie von Désirée Schneider, Lettering und Covergestaltung ist von Frieda Sobiech.
Die jeweils um die 90 Seiten umfassenden Bände haben mit 17x24 cm eine besondere Größe, sie sind kleiner als ein herkömmlicher, gebundener Comic.
Zum Inhalt
Elle ist neu an der Schule, der Wechsel geschah nicht freiwillig. Nach einer Auseinandersetzung, bei der sie eine Mitschülerin angegriffen hat, wurde sie versetzt. Doch das wissen ihre neuen Mitschüler und Mitschülerinnen zunächst nicht, auf sie macht die Neue einen sympathischen Eindruck. Schnell wird sie Teil einer Clique, in der man sich umeinander sorgt und füreinander stark macht. Ein Glück für Elle, denn sie ist psychisch instabil, andere Persönlichkeiten schlummern in ihr und treten in den Vordergrund, sobald der Druck, die Wut oder Trauer zu groß werden. Doch Elles Freunde geben nicht auf, selbst, als die Elle, die sie so gern haben, völlig zu verschwinden scheint. Gleichzeitig entbrennt im Unterbewusstsein des Mädchens ein Kampf ums Überleben, denn eine ihrer Persönlichkeiten glaubt, nur sie ist in der Lage, ihrer aller Leben zu händeln.
Rezension
Ich habe dieses Cover gesehen, mit diesen wunderschön gezeichneten Mädchen, denen man ihre Emotionen auf den ersten Blick ansieht und musste es in die Hand nehmen. Dieses Leuchten auf den Haaren, in den Augen, diese perfekten Zeichnungen, das ist mir bei Comics echt sehr wichtig – ich sehe mir gerne schöne Dinge an! Worum es geht, erschließt sich nach Sekunden, es ist fünfmal dasselbe Mädchen, nein, nicht ganz. Die Haarfarbe verrät es und der Untertitel des ersten Bandes. Elle(s). Es sind mehrere. Ein Comic, ein Jugendbuch über gespaltene/multiple Persönlichkeiten?! Wie wahnsinnig spannend! Oh, wie praktisch, alle drei Teile waren bereits auf Deutsch erhältlich und so konnte ich alle direkt nacheinander kaufen. Ja und dann passierte das, was mir oft und vorrangig mit den Büchern aus dem Splitter Verlag passiert, sie waren weg. Also nicht weg, sie waren nur woanders, nämlich in den Zimmern meiner 10, 14 und 17 Jahre alten Kinder. Bis ich die Teile dann in einer sinnvollen Reihenfolge zu lesen bekam, hatte ich den größten Teil des Inhalts bereits unterbreitet bekommen. Das ging dann auch so weiter, die drei Bände kursierten UND KURSIEREN NOCH wild in unserem Haushalt, waren zwischenzeitlich bei einer Kollegin und fahren mit der großen Tochter nun auch noch übers Wochenende zu Verwandten.
Ja. So gut sind die.
Mal abgesehen von diesen unglaublich zarten, ansprechenden, berührenden Bildern, den witzigen Texten und den warmherzigen Charakteren ist die Hauptfigur und ihre vielen Persönlichkeiten einfach so authentisch und nachvollziehbar gelungen, dass man sich als Jugendlicher in einer der Elles wiederfindet. Oder, und das ist der eigentliche Clou, wahrscheinlich in mehreren. Denn obwohl man die Geschichte ganz eindeutig unter dem Thema psychische Erkrankung/schizophrene Psychose/multiple Persönlichkeit lesen kann, kann man es eben auch als eine Geschichte über die verschiedenen emotionalen Ausnahmezustände lesen, die einen als Heranwachsende den einen Tag zufrieden wie ein Mops auf der grünen Wiese herumtollen lassen und am nächsten Tag will man die ganze Welt in die Luft jagen. Hormone machen auch wahnsinnig. Es holt also unbedarfte Kinder und Jugendliche ohne Vorwissen ebenso ab wie solche, in deren Freundes- oder Familienkreis eine Persönlichkeitsstörung ein Thema ist. Und nebenbei ist es absolut spannend, Elle in ihr Unterbewusstsein zu folgen und die Interaktionen der Persönlichkeiten zu erleben.
Meine große Tochter hat bemängelt, dass ihr die Erklärung, wie es zu der Aufspaltung der zahlreichen Elles gekommen ist, etwas zu weichgespült, unrealistisch, ja verklärt ist. Ja, so ist das in der Realität nicht. Dem geht, man kann sagen immer, ein schweres Trauma voraus. Dinge, die nicht in ein Buch gehören, das ab 12 Jahren empfohlen wird. Ich habe nach dem Abitur ein Jahr in der Psychiatrie gearbeitet und Menschen mit verschiedenen Psychosen betreut – man kann das schwer erklären und verstehen. Wieso ist jemand auf einmal mehrere? Es ist mit Logik nicht zu erfassen, daher finde ich, dass Aveline Stokart und Kid Toussaint das super gelöst und dargestellt haben.
Ihnen ging es nicht darum, warum das passiert ist, sondern, wie die Jugendliche Elle damit zu kämpfen hat, was es für ihr Umfeld bedeutet und das visuell und verständlich zu vermitteln, so dass Nicht-Betroffene es nachvollziehen können. Ich wüsste nicht, wie man das hätte besser machen können. Dieser Comic kann durch die Kombination von Bild und Text etwas vermitteln, was in einem Roman so nicht funktioniert hätte.
Es ist eine wunderschöne Coming-of-Age-Geschichte, über Selbstakzeptanz, Toleranz, Freundschaft und das Wissen um eigene Grenzen und Bedürfnisse. Es ist ein großes Glück, dass der Verlag eine kostenlose Ausgabe für den Gratis-Comic-Tag über die Buchhandlungen herausgegeben hat und „Elle(s)“ hoffentlich ganz viele Kinder, Jugendliche und unbedingt auch Erwachsene erreicht.
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